Grabungsergebnisse im Schlossgarten
Neue Erkenntnisse zur Gartengeschichte durch Grabungen bei den Hirschbrunnen
Hintergrundinformation 10.000 Zeichen. – Archäologische Untersuchungen im Schlossgarten von Schwetzingen brachten jetzt spektakuläre neue Erkenntnisse für einen der bekanntesten Teile des Schlossgartens: Die Brunnenanlage mit den wasserspeienden Hirschen, geradezu das Wahrzeichen des Gartens, sah zur Zeit von Kurfürst Carl Theodor anders aus.
Wie genau – das weiß man jetzt. Und nicht nur das: Die Funde bei der Grabung ergeben außerdem, dass die Anlage ziemlich genau ab 1767 errichtet wurde.
AKTUELLE UNTERSUCHUNGEN IM SCHLOSSGARTEN
Gemeinsam mit dem Amt Mannheim und Heidelberg von Vermögen und Bau untersuchen die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg den historischen baulichen Befund am Hirschbassin, einem der Herzstücke des Schlossgartens.
Jetzt konnten die Fachleute erste Ergebnisse vorlegen: Michael Hörrmann, der Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten, präsentierte die Funde gemeinsam mit Achim Wendt vom Büro für Bauforschung, Dokumentation und Konzeption, der die Untersuchungen vorgenommen hatte, und dem zuständigen Konservator Prof. Dr. Hartmut Troll. Michael Hörrmann wies darauf hin, dass man im Schlossgarten zwar vieles wisse, dass aber in vielen Fällen die Details nicht dokumentiert seien. „Solche archäologischen Untersuchungen bergen also immer die Option auf überraschende Erkenntnisse.“
HALBRUNDBECKEN UND SPIEGELBASSIN
Aus alten Plänen und aus der Literatur weiß man schon länger, dass im 18. Jahrhundert bei den großen Hirschfiguren der Garten anders aussah. Auf der Seite zum Schloss hin gab es wohl ein großes Halbrundbassin. Von dort floss das Wasser über Stufen in ein großes längliches Spiegelbassin, das sich dort befand, wo sich heute das große Rechteck der Rasenfläche erstreckt.
Die berühmte Hirschgruppe ist bereits im Plan des ersten Gartenarchitekten Johann Ludwig Petri von 1753 eingezeichnet. Und der Plan des maßgeblichen Architekten Nicolas de Pigage zeigt deutlich die zwei Becken.
VERÄNDERUNGEN IM GARTEN AM BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS
Man weiß allerdings auch, dass es immer technische Schwierigkeiten gab. Die Becken waren nicht dicht. Johann Michael Zeyher, Gartenarchitekt der Zeit nach den Kurfürsten, schreibt davon, dass der Boden wegen der undichten Becken so sumpfig sei, dass die Anlage stank.
Daher wurden die beiden Becken 1804/5 abgeräumt. Einige Jahre lang gab es an dieser Stelle des Schwetzinger Schlossgartens kein Wasser. Erst 1820 richtete Zeyher die Anlage so her, wie sie sich bis heute präsentiert.
Was dort zu sehen ist, spiegelt den Widerstreit zweier Interessen: Der badische Großherzog wollte wieder ein Wasserbecken bei den Hirschen haben. Die Gartenverwaltung aber achtete auf eine kostengünstige Lösung. Was entstand, ist die heutige Situation: ein kleines Becken im oberen Bereich und statt der weiten Wasserfläche des Spiegelbassins ein Rasenviereck.
BAUARCHÄOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN IM BODEN
Aus der Zeit, als für den Schlossgarten Schwetzingen als Gartendenkmal erstmals systematisch ein „Parkpflegewerk“ aufgestellt wurde, stammen erste Erkenntnisse zur historischen Situation bei der Hirschgruppe.
Damals, in den 70er- und 80er- Jahren des 20. Jahrhunderts, fanden stichprobenartige Sondierungen statt. Man wollte wissen, was sich von den Vorgängeranlagen erhalten hatte, von dem, was sich vor Zeyhers Umgestaltung sich hier befunden hatte. Tatsächlich weiß man seit damals, dass die barocke Beckenanlage bei den Hirschen nicht nur auf dem Plan existierte.
Vieles davon hat sich im Boden noch erhalten. Weiter verfolgen konnte man aber diese ersten Entdeckungen nicht. Das war eine der noch offenen Forschungsaufgaben für den Schlossgarten Schwetzingen. In vorsichtigen und schonenden Grabungszugriffen konnte man jetzt vieles von den seit damals offenen Fragen klären.
VIELE OFFENE FRAGEN ZUR SITUATION IM GARTEN DES KURFÜRSTEN
Was von den Plänen war verwirklicht, was war nur eine zeichnerische Idee geblieben? In Petris Plan von 1753 sind die Hirschfiguren bereits eingezeichnet. Der Auftrag an den Bildhauer Verschaffelt für die Figuren stammt aber erst aus dem Jahr 1767! Was bedeutet das?
Und von Pigages großem und detailreichem Gartenplan – was war tatsächlich realisiert? Insbesondere erlauben die großen Pläne in vielen Fällen keine Aussagen über die Details, sie zeigen nur die große Form. Wie tief war ein Becken? Wie sah genau seine Begrenzung aus? Welche Form hatte der Beckenrand? Wie viele Stufen genau verbanden das obere Parterre mit der Ebene des Gartens unterhalb der Hirsche?
KOMPLEXER AUFBAU DER BECKENLAGE
Seit den aktuellen Grabungen weiß man jetzt einiges mehr. Archäologische Untersuchungen versuchen heute, so wenig wie möglich vom historischen Befund zu beschädigen. Trotz der vorsichtigen und schonenden Eingriffe hat man nun viele neue Erkenntnisse über die historische Schichtung und über den technischen Aufbau der Becken gewonnen.
Es zeigte sich: Das obere halbrunde Becken war viel größer als heute, nicht ganz so groß wie auf dem Petri-Plan von 1753, aber größer als das Becken, das auf dem Plan von Pigage eingezeichnet ist! Das obere Becken besaß eine große gemauerte Fundamentplatte, einen halben Meter dick, darauf folgte eine Schicht eines sehr harten Mörtels, in den Backsteine gesetzt waren – hochkant.
Die meisten der Backsteine lassen sich nur noch als Abdruck im Mörtel nachweisen. Die Backsteine sind kreisförmig gesetzt, wobei der äußere Radius kleiner ist als das gemauerte Fundament und daher eher mit dem Umfang des kleineren Beckens auf dem Plan von Nicolas de Pigage korrespondiert.
Hier hat wohl eine Umplanung stattgefunden: Anfangs, beim Fundamentieren, folgte man dem Entwurf von Petri, während des Baus erfolgte dann der Übergang auf den Plan von Pigage. Auf jeden Fall aber war das Becken des 18. Jahrhunderts größer als heute.
SCHWACHER WASSERSTRAHL DER HIRSCHE
Erst unter Gartenarchitekt Zeyher wird das Becken so klein wie heute. Passend dazu wurde auch der Wasserstrahl der Hirsche schwächer: Wäre der Wasserdruck stärker, würden die Hirsche ihren Wasserstrahl über das heutige Becken hinaus sprühen!
Der schwache Wasserstrahl wurde offenbar damals schon kritisiert: Denn schon in Zeyhers eigenem Buch über den Schlossgarten von 1826 erklärt er, warum der Wasserstrahl so schwach sei.
Die Hirsche seien ja waidwund und im Sterben – da könne man sich keinen stärkeren Strahl denken. Wie die Brunnenränder aussahen, weiß man nicht mehr: Sie wurden tatsächlich ganz abgeräumt, als am Beginn des 19. Jahrhunderts diese Beckenzone trockengelegt wurde.
SPIEGELWEIHER IN TYPISCH BAROCKER FORM
Der nächste Schritt der Untersuchung: der Spiegelweiher, ein großes flaches Becken, das direkt unterhalb der Hirschgruppe lag. Das Becken hatte in etwa das Format der ersten der jetzigen Rasenflächen und war, eine typische barocke Form, nicht gerade, sondern hatte eine Begrenzung mit symmetrischen Schweifungen und Einzügen.
Der Grabungsbefund in Schwetzingen stimmt absolut überein mit dem, was im Gartenplan von Pigage eingezeichnet ist. Erhalten hat sich ein solches Becken noch in Schloss Benrath bei Düsseldorf, dem Jagdschloss, das Kurfürst Carl Theodor von Pigage vor dem Schwetzinger Garten anlegen ließ.
LEHRBUCHMÄSSIGER AUFBAU DES BECKENS
Vom Schwetzinger Spiegelbassin haben sich im Boden genug Reste erhalten, um den ganzen mehrschichtigen Aufbau des Beckens zu zeigen, das vorbildlich und geradezu lehrbuchmäßig angelegt wurde.
Zuunterst liegt ein Backsteinfundament. Die oberste Abschlussschicht ist ein sehr dichter, spezieller Estrich, der in seinem Aufbau der damaligen Theorie folgte: Wie im Lehrbuch des zeitgenössischen Gartenspezialisten Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville beschrieben, enthält dieser abschließende Estrich eine besondere Beimischung aus Ziegelsplitt, vermutlich auch – das muss die naturwissenschaftliche Analyse noch überprüfen – einen Zuschlag Erde aus dem italienischen Pozzuoli.
Dennoch aber war das Becken in Schwetzingen wohl nie richtig dicht, obwohl es lehrbuchmäßig gebaut war. Im Lehrbuch der Zeit heißt es auch, dass, um einen guten Spiegeleffekt zu erzeugen, das Becken unbedingt ganz flach sein muss.
Flache Wasserbecken aber sind wartungsintensiv: Sie veralgen schnell. Im Winter frieren sie schnell durch und man läuft Gefahr, dass der Frost den Boden sprengt. Gartentheoretiker Dezailler d’Argenville weiß Rat: Man könne die Becken ganz einfach mit genügend Leuten schnell leerschöpfen.
SPIEGELBECKEN WIRD ZU RASENFLÄCHE
In Schwetzingen war ein Problem wohl schon der Anschluss an die Kaskadenstufe, über die das Wasser von den Hirschen herunterfloss: Die Grabung ergab, dass sich sogar noch die Reparaturen erhalten haben, etwa die dicken Tonpacken, eine übliche und eigentlich funktionstüchtige Technik, um undichte Stellen abzudichten.
Auch wenn das Becken wohl immer problematisch war: Als Zeyher die Rasenfläche anlegen ließ, musste der Beckenboden systematisch aufgehackt werden, damit der Rasen auf dieser Fläche wachsen konnte.
DAS HEIDELBERGER SCHLOSS ALS MATERIALFUNDUS
Spektakulär sind die Entdeckungen, die man zur Datierung der Becken machen konnte: Im Sockel einer der beiden Hirschfiguren sind Steine verwendet, die eindeutig von spätgotischen Steinmetzen bearbeitet wurden.
Das erkennt man an der Art der Bearbeitung und an Steinmetzzeichen. Die Backsteine des Beckenfundamentes lassen erkennen, dass sie nicht nur im Brennofen gebrannt wurden, sondern wohl auch einer richtigen Feuersbrunst ausgesetzt waren.
Die Erklärung ergibt sich aus einer Notiz in den zeitgenössischen Bauakten: Dort steht, dass für den Schlossgarten Material aus der Ruine von Schloss Heidelberg geholt wurde und zwar in den Jahren 1767 bis 1770, nach dem Blitzeinschlag von 1764 und nach dem großen Brand.
Dieser weiteren Zerstörung des Heidelberger Schlosses setzte Kurfürst Carl Theodor ein Ende. Dennoch weiß man nun durch diesen Fund, wann genau hier gearbeitet wurde: Und dazu passt auch der Auftrag für die beiden großen Hirsche an den Bildhauer Verschaffelt 1767.
„Das ist ein spektakulärer Erkenntnisgewinn, was die exakte Datierung einzelner Arbeiten im Schlossgarten betrifft“, fasst Prof. Dr. Hartmut Troll diesen Fund zusammen. Man wisse nun ganz exakt, aus welchen Jahren das Hirschbassin stamme und welche Größe und Form es einst gehabt habe.
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