MdL Manfred Kern lud zum Türkei-Talk mit Bundestagskandidat Danyal Bayaz

Bild (von links nach rechts): Arzu Kazak, Danyal Bayaz, MdL Manfred Kern

„Türkei quo vadis?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt eines vom Schwetzinger Grünen MdL Manfred Kern initiierten Diskussionsabends in Hockenheim. Eingeladen hatte er den Bundestagskandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für den Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen, Dr. Danyal Bayaz, der sich im voll besetzten Rondeau den Fragen der türkischstämmigen Anwältin Arzu Kazak stellte und mit dem Publikum diskutierte.

Deutlich wurde dabei sofort, dass die Türkei für Deutschland und Europa eine enorme Bedeutung hat, nicht nur als Mitglied der G20 und der NATO. In Deutschland leben auch rund drei Millionen türkischstämmige Mitbürger, die sich dem Land am Bosporus verbunden fühlen. Danyal Bayaz führte eindringlich vor Augen, dass das Land in einer tiefen Krise steckt.

Zwar habe Staatsoberhaupt Erdogan unter den Türken und Türkischstämmigen im Ausland viele Sympathisanten – nicht zuletzt, weil der aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammende Erdogan der kemalistischen Elite den Kampf angesagt und während seiner Amtszeit starke Verbesserungen für die sozial Schwächeren und die Mittelschicht auf den Weg gebracht hatte. Dem gegenüber stehe jedoch die aktuell schlechte Menschenrechtslage mit über 50 000 Inhaftierten, davon mindestens 150 kritische Journalisten. Kaum noch stattfindende Investitionen aus dem Ausland und eine zusammenbrechende Tourismusindustrie seien – neben der Flüchtlingsproblematik – Schwierigkeiten, die auf das Konto des Staatsoberhaupts gingen.

Aber auch die Bundesrepublik mit Kanzlerin Merkel sieht Bayaz in der Verantwortung. So könne es nicht sein, dass bei offiziellen Besuchen nur mit Erdogan und seiner Regierung geredet werde. „Warum hat Angela Merkel zum Beispiel nicht an einer türkischen Universität über Menschenrechte gesprochen oder Vertreter der Opposition getroffen? Kommunizieren muss man auf allen politischen Kanälen“, so der Appell des Grünen Bundestagskandidaten.

Die Türkei als „Türsteher“ für Europa zu missbrauchen sieht Danyal Bayaz als sehr bedenklich. Die flüchtlingsfreundliche Türkei gebe derzeit immerhin über drei Millionen Geflüchteten Schutz. Verhandlungen über Visaerleichterungen dürften nach Ansicht des Bundestagskandidaten nicht mit dem Flüchtlings-Deal verbunden werden. Gleichzeitig mahnte Bayaz auch mehr Ehrlichkeit gegenüber der Türkei an. Das Assoziierungsabkommen bestehe seit 1963 und Beitrittsverhandlungen fänden seit 2005 statt; man könne nicht über Jahrzehnte verhandeln, ohne klar und präzise auch Negatives sofort zu äußern. Die mögliche Einführung der Todesstrafe sei ein „No-Go“ und schließe die Mitgliedschaft in der EU aus. Bayaz sieht diese nach dem aktuellen Stand der Dinge für mindestens zehn bis fünfzehn Jahre in die Ferne gerückt.

Zutiefst bedauerlich sei, dass die Türkei ihre Rolle als Musterbeispiel dafür verloren habe, dass Demokratie und Wirtschaft auch in einem vorwiegend muslimischen Land funktionieren können. Das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei betrage zwar nur ein Fünftel des deutschen. „Die Wachstumsraten waren aber in den vergangenen Jahren schon zweistellig und lagen somit über denen von China“, sagt Danyal Bayaz.

Sehr lebhaft wurde auch die aktuelle Situation der türkischen Community in Deutschland diskutiert. So wurde die Frage aufgeworfen, wieso Türkischstämmige der dritten Generation an Pro-Erdogan-Demonstrationen teilnehmen und sich dabei mehr mit dem Land ihrer Vorfahren zu identifizieren scheinen als mit Deutschland. Dr. Bayaz verwies auf den Integrationsprozess, der zu Unrecht als abgeschlossen betrachtet werde. Das Thema Integration müsse auch für Menschen mit türkischen Wurzeln wieder eröffnet werden, sonst „verlieren wir Leute“. Fühlten sich die Menschen hier durch die Mehrheitsgesellschaft nicht willkommen oder sozial benachteiligt, wäre es sehr verlockend, sich Populisten wie Erdogan zuzuwenden, die sie mit offenen Armen willkommen hießen. Danyal Bayaz wiederholte hierbei die grüne Forderung nach der Entkopplung von Herkunft und Bildung als Schlüssel für bessere Chancen für jeden in unserer Gesellschaft. Moderatorin Arzu Kazak fügte ergänzend hinzu: „Deutsch zu sein darf nicht mehr an reinen Äußerlichkeiten festgemacht werden, wie der Haarfarbe, der Farbe der Haut oder dem Tragen eines Kopftuchs. Auch hier muss eine Entkopplung stattfinden. Die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft wäre in diesem Zusammenhang ein wichtiges Signal.“

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum fiel sehr lebhaft und konstruktiv aus. Natürlich standen auch die Religion und der Islam im Deutschland zur Debatte. Der Bundestagskandidat positionierte sich klar zur Religionsfreiheit. Auch wenn die integrative Leistung eines Verbandes wie des schon 1984 gegründeten Dachverbandes der türkischen Moscheegemeinden DITIB zu würdigen seien, so dürfe es dennoch keine strukturelle und finanzielle Abhängigkeit einer Religionsgemeinschaft in Deutschland vom Ausland geben. Hier seien für die in Deutschland lebenden Muslime eigene, unabhängige Strukturen nötig. MdL Manfred Kern kritisierte, dass hier aktive muslimische Geistliche kaum oder gar kein Deutsch sprächen und alle vier bis fünf Jahre ausgetauscht würden. Auch sollten Predigten in deutscher Sprache stattfinden, denn nicht nur Türkisch sprechende Musliminnen und Muslime hätten ein Recht darauf, die Predigten zu verstehen, sondern vielmehr alle hier lebenden Personen muslimischen Glaubens. Abschließend bedankte sich der Veranstalter bei den zahlreichen Anwesenden für die rege Beteiligung und bei Arzu Kazak und Danyal Bayaz für ihre interessanten und informativen Beiträge.

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